Burn, Still
Gelände im Fluss
Ein Text von Esther Kinsky
Konstantin Dérys Bilder begleiten mich seit Jahren. Jeden Tag fällt mein Blick auf zwei kleine Winterlandschaften, die die borstige, struppige Textur von Stroh, Gehölz und Erde unter dünnem Schnee hervortreten lassen, ein größeres Sommerbild, auf dem der weiche rötliche Boden vor Licht und Laub und Unebenheit in steter Bewegung scheint, eine Pinselzeichnung von Unterholz, in der jede Linie Spur ist, Weg und Holzweg, Faden im Gewebe dieses Ausschnitts von Gegend. Nie geht es auf diesen vor mehreren Jahren entstandenen Bildern um Abbildung, immer geht es um die Umsetzung eines Blicks in die Tiefe, in die Schichten, die Struktur und Textur bilden, die auch so, in Pinselstrich gefasst, im modellierten Farbauftrag gebunden, nie erstarren.
Der Blick in die Natur als Materie entwickelt sich weiter in den neueren Gemälden. Er führt den Betrachter nicht mehr ins Weite, wo Himmel und Horizont Kontext und Kontrapunkt zum Gelände sind, auch haben sich die Figuren zurückgezogen, die früher auf manchem Bild intervenierten, sich in den Blick schoben, Landschaft relativierten, unbewegt und eindringlingshaft, Fremdlinge mit eigenem Blick, dem sich der außenstehende Betrachter vor dem Bild stellen muss. Die Gemälde der letzten Jahre zeigen Gegenden ohne Menschen, sicher nicht von äußerer Einmischung unberührt, doch ohne die Präsenz einer Figur, die von der Textur ablenkt.
Landschaft ist ein schwieriges Wort in der Kunst, bleiern von Jahrhunderten der Umdeutungen, vom Wandel der Sinnträgerschaft des paysage in der Malerei, doch stellt sich die Frage, ob die Bilder von Konstantin Déry überhaupt als Landschaftsbilder zu sehen, zu verstehen sind. Ein weiter gefasster Bezug wäre die Natur, und zwar im Sinne einer Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, eine Bildsprache für die natürlichen Prozesse zu finden, die sich eigendynamisch im Stoff eines Geländes vollziehen. Gelände erscheint als ein treffenderes Wort als Landschaft für den Boden, auf dem sich diese Bilder bewegen, das Wort ist unbelastet, unvoreingenommen, allenfalls berührt von der Verbindung mit der Zeile aus Paul Celans Gedicht Engführung: „verbracht ins gelände /mit der untrüglichen spur „
Gelände ist eines dieser schönen Kollektiva in der Sprache, die immer wieder den Rückzug auf sozusagen neutralen Boden zulassen, von keiner Bindung an eine feste Bestimmung verzerrt, ein Boden, von dem aus Definition ohne Intervention möglich ist. Und damit ist vielleicht ein Bogen geschlagen zu diesen Gemälden von Konstantin Déry. Die Szenen – Lichtungen, Steiluferausschnitte, Wasserläufe – sind an keinen benennbaren Ort gebunden. Die Titel der Bilder legen sie auf nichts fest als Äußeres: Wasserspiegel bei Wind, Trockener Wald, Lichtflecke, Sonnenlicht streift rauhen Boden etwa heißen sie, kommentarlos überlassen sie das Feld dem Betrachter. Vor diesem liegt Materie in den Namen der Farben, die Dynamik entfaltet sich zwischen der feinen Zeichnung der Einzelheiten – Gräser, Laub, Rinde, Erde – dem Farbauftrag und der Grundierung, den Vertikalen und den Horizontalen. Eine Spannung tut sich auf zwischen Fläche und Tiefe, Vordergrund und Hintergrund und bringt Bewegung, die das betrachtende Auge überall wahrnimmt: im stillen Wasser, in der rissigen Baumrinde, zwischen den Blättern. Doch die Bewegung ist gehalten von Ruhe, die auseinanderlaufenden Wellenkreise des Gewässers sind nicht erstarrt sondern still in sich vertieft, ebenso wie die Risse in der Rinde, der rauhe Boden unter dem Sonnenstreif, die Schneeflecken, die sich über den grünenden Boden stülpen, weich unter den Augen der aufgereihten rötlichen Bäume mit ihren kalten emporgereckten Zweigen. Immer wieder ist Wasser im Zentrum, in immer wieder neuer Intensität der Dynamik, in Bewegung durch Farbe und Textur, fließend und kreiselnd. Burn, Still ist der Titel der Ausstellung, im Sinne von stillem Fließ, oder von anhaltendem Schwelen – beides ist lesbar aus diesen Bildern in denen sich die aus der Betrachtung des Außen erwachsene schöne Genauigkeit der Linie mit der aus der Introspektion entstandenen lyrischen oder dramatischen Farbgebung verbindet. Die Bilder entstehen nicht aus dem Anblick, sondern aus dem Einblick in das Gelände. Und die Regeln des Geländes, die den Dingen in ihrer Belassenheit innewohnen, haben sich in die Sprache der Farbe übersetzen lassen: stilles Fließen und Verharren, Auflösung und Konsolidierung, Verfall und Wachstum. Diese Wortnamen nehmen sich blass aus gegen die Sprache dieser Bilder, dieser vertieften Geländebetrachtungen, in denen sich die untrügliche Spur eines ganz eigenen Blicks in das Wesen des Stoffs findet, eine Spur, die sich in der stillen, nie endenden Erzählung aus Farben, Linien, Flächen, Strukturen artikuliert.
Esther Kinsky, September 2017.